Kurt Rydl
zur
aktuellen Situation
an den
Opernhäusern
Nachfolgend transferiert
in eine autorisierte
Schriftversion:
Die Wiener Staatsoper hat ein Direktoren-Problem:
Ich bin nicht glücklich,
wenn Direktoren einfach nur Manager sind.
Sie sollten aus dem Fach kommen.
Und die österreichische Politik
sollte sich hinterfragen,
ob sie gut beraten ist,
wenn sie Leute aus dem Wirtschafssektor zum Direktor eines Opernhauses bestellt,
die eigentlich nicht die Fähigkeit haben, ein Opernhaus
vom Format der Wiener Staatsoper
zu leiten.
Das geht über viele, viele Jahre schon schief.
Man sollte sich großer Dirigenten bedienen,
man sollte sich großer Sänger bedienen,
die wirklich über das Metier Bescheid wissen
und die Nöte und die Leidenschaften kennen,
die dort die wesentlichste Rolle spielen.
Das wäre eine ganz wichtige Geschichte.
Was gibt es zur aktuellen Eskalation des Streites zwischen
Operndirektor Roscic
und dem
Generalmusikdirektor Jordan
zu sagen?
Ich möchte hier niemanden anklagen.
Ich kenne Philippe Jordan sehr lange. Ich kenne ihn noch, als er noch als Junge bei seinem Vater korrepitiert hat.
Das war Rosenkavalier 1993 in Paris.
Es herrscht eine unelegante Lösung momentan.
Ich bin sehr unglücklich darüber,
dass der Direktor und der Generalmusikdirektor
keine gemeinsame Linie finden
und eigentlich jetzt etwas ungeklärt im Raum steht:
Der eine sagt, es ginge um die Wiener Philharmoniker,
der andere verkündet,
es habe mit den Inszenierungen zu tun.
Jordans Kritik an den Inszenierungen
unterschreibe ich absolut.
Zudem weiß ich,
was für ein
wunderbarer Dirigent
Philippe Jordan
sein kann.
Für die zwei ist es nicht leicht derzeit.
Es sollte alles amical gelöst werden.
Es soll hier keine Politik im Vordergrund stehen.
Ich wünsche dem Operndirektor Roscic wirklich alles Gute.
Er soll dieses Haus führen, aber er soll es menschlich führen.
Er soll es führen wie ein Laroche.
Das ist die Figur eines voller Leidenschaft steckenden Theatermachers aus der Richard-Strauss-Oper „Capriccio“.
Der Operndirektor
soll die Sänger zu sich holen
und mit ihnen reden.
Das ist eines der wesentlichen Dinge,
die man zu tun hat.
Ein Operndirektor muss
Kontakt haben mit den Sängern.
Er muss sie nehmen und quasi sagen:
„Ihr seid’s mein Kapital, und mit Euch muss ich,
darf ich,
will ich Oper machen.“
Er darf sie nicht wie Schachfiguren behandeln und einfach
hin- und herschieben.
Das geht gar nicht!
Braucht die
Wiener Staatsoper
einen
musikalischen Leiter?
Absolut.
Es braucht eine musikalische Hand.
Allerdings
habe ich Schlimmes erlebt in meiner Karriere:
Manchmal kommen Generalmusikdirektoren,
die eigentlich nur schnell ein Repertoire absolvieren
und die restliche Zeit
mit internationalen Orchestern
auf Tournee gehen,
um kräftig Geld zu verdienen.
Das geht nicht.
Die Wiener Staatsoper
braucht einen Generalmusikdirektor,
der hier präsent ist,
der die Königsstücke, wie man so schön sagt,
ich nenne da
„Don Giovanni“,
„Figaros Hochzeit“,
und natürlich
Wagners Ring,
aber auch das große,
italienische Repertoire
mit Stücken wie
„Simone Boccanegra“,
„Don Carlos“,
die Puccini-Opern,
natürlich auch
„Tristan und Isolde“
gut erarbeitet.
So ein Generalmusikdirektor
kann nicht sagen,
ich mache zwei oder vielleicht sogar nur eine große Premiere
und die restliche Zeit bin ich weg,
um viel Geld zu verdienen.
Das geht nicht!
Ich gönne jedem Geld. Ich habe auch Geld verdient,
ich habe es gemacht aus Besessenheit und aus Freude am Singen.
Ich habe allerdings auch meine Abende an der Wiener Staatsoper gesungen
– das sind über die Jahre
ja fast 1.200 geworden.
Also so ein Generalmusikdirektor
muss stetig am Haus sein.
Das ist natürlich ein Problem,
wenn man, wie jetzt,
kein Repertoire-Haus mehr ist,
sondern ein so genanntes
Stagione-Haus,
das leider nur eine sehr begrenzte Zahl
unterschiedlicher Werke zeigt.
Das Haus bringt dann eine ganze Serie von nur einem Werk,
wo der Generalmusikdirektor selbst nicht dirigiert.
Dann sind lange Zeit nur Gastdirigenten am Haus.
So hat der Generalmusikdirektor kaum Zugriff aufs Orchester.
Auch das Ensemble kann er nicht ausreichend kennen lernen –
und schon gar nicht prägen und fördern.
So blutet alles aus,
bleibt ungeführt –
ohne Linie.
Dann hebt sich die Staatsoper
auch nicht mehr positiv
von anderen Opernhäusern ab,
sondern wird beliebig,
verliert an Wert.
Es muss wieder ein
Repertoire-Theater her
für die Wiener Staatsoper.
Das Haus braucht mindestens
zehn verschiedene Opern
im Monat.
Dann wird die
Wiener Staatsoper
auch wieder blühen.
Nur so holt man sich auf Dauer das Publikum.
Aber das schafft man nicht,
wenn man fünfmal im Monat eine Ballett-Szenerie und nur zwei verschiedene Opern spielt,
die man vielleicht zehnmal im Monat wiederholt.
Das geht nicht.
Welche alten Inszenierungen sollen bleiben?
Was braucht es Neues?
Was erwiesenermaßen
traditionell wirklich gut funktioniert hat,
was man vielleicht wieder beleben kann,
sind große Inszenierungen von
Jean-Pierre-Ponnelle,
dann die große Sachen von
Götz Friedrich,
auch von der genialen
Margarete Wallmann,
mit der ich vor vielen Jahren einen „Rosenkavalier“ machen durfte,
unbedingt die Inszenierungen von
Otto Schenk.
Dessen „Fidelio“ würde ich nicht hergeben,
seinen „Rosenkavalier“ würde ich auch nicht hergeben.
Das ist wunderbares Repertoire.
In dem Zusammenhang
möchte ich den ehemaligen Operndirektor
Eberhard Wächter,
der übrigens zuvor Sänger war, zitieren.
Der sagte nämlich zu Beginn seiner Direktorenzeit:
„Mein Gott, jetzt soll ich anfangen mit fünf oder sechs Premieren?
Nein! Ich mache die besten Wiederaufnahmen,
die ich haben kann.
So sparen wir zunächst Geld –
und im kommenden Jahr haben wir die Finanzmittel beisammen,
um einen kompletten Ring zu machen.“
Und was hat der Direktor
Lorin Maazel,
der wiederum von Haus aus ein genialer Dirigent war,
gemacht?
Lorin Maazel hat
zu Beginn seiner Direktionszeit gesagt:
„Okay, ich kenne mich nicht sehr gut aus. Ich komme neu in das Haus. Ich mache meinen ersten Ring konzertant.“
Das war das erste Mal,
dass Maazel einen ganzen Ring konzertant machte.
Die Leute waren begeistert und haben gefragt:
„Was brauche ich eigentlich eine Bühne?
Das war so phantastisch!“.
Also man kann wahnsinnig viel machen.
Man braucht sicht nicht diesem selbst gemachten Zwang zu unterwerfen,
das Genre Oper jetzt neu zu bürsten oder so.
Man kann auffrischen!
Man muss sich die Dinge anschauen.
Aktuell frage ich:
Wo ist das Repertoire?
Wo ist eine „Verkaufte Braut“ heute?
Ein wesentliches Stück der Opernliteratur.
Herrlich zu spielen, wunderbare Melodien.
Eine „Verkaufte Braut“ gehört nach Wien!
Da gibt es unzählige Stücke,
die viel öfter kommen müssten!
Das wäre viel wichtiger, als dieses ewige „Neu“.
Okay, da ist jetzt
ein Mahler-Abend in der
Wiener Staatsoper gewesen.
Das kann sehr interessant sein.
Aber das ist eine Randsache.
Die bringt man nebenbei.
Aber da kann ich jetzt nicht plötzlich sagen:
Das ist mein Repertoire.
Damit hole ich mir nicht die Leute hinein.
Zur Frage der Inszenierung
möchte ich sagen:
Welchen Sinn hat es, eine „La Bohème“ in den Untergrund spielen?
Ein Werk mit den schönsten
und wunderbarsten Melodien.
Es muss nicht im Punk-Milieu stattfinden.
Dazu passt die Musik nicht.
Was ist denn die große Mitteilung?
Was muss ich denn politisch werden in einer „La Bohème“?
Was ist eine „La Bohème“?
Verliebte Menschen, eine stirbt – große Tragödie. Das ist es!
Das Publikum muss flennen,
wenn es herausgeht.
Aber nicht sich aufregen und sagen:
Hast Du das Bühnenbild gesehen?
Hast Du gesehen, wie die mit den grünen Haaren
herumgegangen ist?
Das kann doch nicht der Sinn eines teuren Opernabends sein.
Deswegen bin ich ja nicht altmodisch,
denn man muss natürlich nicht unbedingt die Kleidung aus der Entstehungszeit der Oper auf die Bühne bringen.
Allerdings muss man zeigen,
was zu der Musik und dem Stück passt.
Mein Credo:
Mach es modern – ja,
aber mit Geschmack!
Ewige Skeptiker rufen mir vielleicht zu:
Geschmack?
Um Gotte willen: Geschmack wird gleich geschmäcklerisch!?
Wird gleich „billig“ und so weiter!?
Das ist der Skandal:
Kaum wird etwas erträglich
oder so gebracht,
dass man sagt:
„Das war schön!“,
findet sich ein Nörgler,
der sagt:
„Ah – das ist zu wenig! Es muss aufregend sein.“
Diese Nörgler sind aber nur eine Minderheit.
Und wenn man denen gerecht werden wollte,
müsste man es in den Grund und Boden inszenieren,
bis man das eigentliche Werk
nicht mehr erkennt.
Dann sagen die:
„Uih – das ist wichtig!“
Ich möchte wissen,
wer in den Louvre zur Mona Lisa geht
und ihr einen Bart malt.
Das möchte ich wissen.
Wer macht das?
Warum darf die Mona Lisa so bleiben,
und warum muss die Oper
gegen den Kamm gebürstet werden?
Warum?
Warum muss das sein?
Das finde ich eine Katastrophe!
Man muss nicht übermalen.
Es gibt gewisse Dinge,
die lasse ich,
weil sie das Stück ausmachen.
Aber ich kann zum Beispiel etwas mit dem Licht machen.
Ich kann moderne Bühnentechniken nutzen.
So kann ich bei der Umsetzung einer Oper unglaublich moderne Sachen machen.
Aber dazu braucht man Leute,
die Klasse haben und
die Vertrauen in das Stück haben.
Nicht das Stück vergewaltigen!
Christine Mielitz zum Beispiel
ist eine wirklich hervorragende Regisseurin.
Aber muss ich einen Parsifal am Pissoir beginnen,
wie es ursprünglich hier geplant war?
Am Beginn des „Parsifal“
weckt der Gurnemanz
seine Gralsritter und sagt:
„Heyho, Waldhüter Ihr. Schlafhüter mitsammen!“
Das ist, was er sagt.
Wieso zeigt die Inszenierung
dann jetzt,
dass die Gralsritter gerade verschwitzt vom Fechten kommen
und sich die Hände waschen?
Warum?
Es passt nicht!
Macht man das nur,
weil man unbedingt etwas ganz Neues bringen muss?
Ist es denn so eine geniale Idee,
dass die sich nach dem Fechten da gerade die Hände waschen?
Ich weiß es nicht.
Ich muss es nicht im Wald spielen.
Ich kann auch irgendwie den Wald andeuten.
Er sagt halt „Waldhüter Ihr“ –
Aber wozu haben wir den Text?
Oder sollen bald die Leute
die Melodie am Kamm blasen
und keinen Text machen?
Doch solange der Text vorgetragen wird,
sehe ich keinen vernünftigen Sinn,
wenn man es nicht wenigstens annähernd
dem Stück entsprechend umsetzt,
sondern ins völlig Unkenntliche bringt.
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